Rede von llse Kersten zur Ausstellungseröffnung (2004)

23.10.2004

Liebe Kunstfreunde, lieber Jan!

Viele Jahre habe ich mich erfolgreich dagegen gewehrt, dass auf meinen Ausstellungen eine Rede gehalten wurde, war ich doch der Auffassung, dass man Bilder nicht erklären, sondern nur erleben kann. Sie sollten für sich sprechen und ich dachte, Worte würden alles nur verderben. Schon gleich gar nicht hätte ich mir je träumen lassen, selbst eine Rede vorzubereiten, den Versuch zu wagen, die Bilder eines anderen Malers dem Betrachter nahe bringen zu wollen.

      Ich glaube immer noch, dass man Bilder nicht erklären·kann, aber ich habe eingesehen, dass eine Art von Gedankenaustausch hilfreich sein kann.

      Natürlich gibt es Kriterien wie Bildaufbau, Farbharmonie, Goldener Schnitt, Ästhetik usw., die in der Kunstwelt als objektive Maßstäbe bei der Beurteilung von Bildern gelten. Aber was nützt das alles, wenn beim Betrachter nichts ankommt? Es ist wie in der Musik: wenn einem Meister Beethoven nichts sagt oder man seine Musik nicht besonders leiden kann, dann mag das Stück noch so perfekt gespielt sein – es wird einen nicht erreichen. Ich möchte damit sagen, dass es kaum möglich ist, ein objektives Urteil über ein Kunstwerk abzugeben, denn es wird immer auch vom persönlichen Erteben geprägt sein.

      Jans Bilder, die ich zunächst in einem Katalog sah, berührten mich auf Anhieb. Staunend, fast ehrfürchtig bemerkte ich, dass er eine Tür geöffnet hatte, die mir meist verschlossen bleibt beim Betrachten moderner Kunst. Aus diesem Staunen heraus entschloss ich mich spontan zu dem Versuch, Ihnen, liebe Kunstfreunde, Jan’s Bilder zu eröffnen. Ich werde es auf meine persönliche, subjektive Weise tun. Inzwischen habe ich auch erkannt, dass Max Liebermanns Spruch zu seiner Zeit mehr Gültigkeit hatte. Denn: wer nimmt sich heute noch Zeit, zu warten, bis das Bild spricht? Es eventuell immer wieder zu versuchen, sich wirklich darauf einzulassen?

      Jans Bilder verlangen, dass man sich auf sie einlässt und sie führen in eine Welt, die nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat. Es sind keine „gefälligen“ Bilder, sie kommen mit den primären bildnerischen Mitteln aus, der Fläche, der Linie und dem Bildraum, dem Hell/Dunkel, der Dichte und der Durchlässigkeit. Die Bildaufteilung ist schlicht, gestaltet mit geraden Flächen, die nur in länge und Breite variieren. Strukturierte Untergründe bringen feine Bewegung, Spuren und Belebung in den Malgrund. Spannung wird erzeugt durch die Diagonale, ebenso der Ausgleich. Die gekrümmte Linie oder der Bogen werden als Bewegungselement verwendet oder zur Schaffung von Verbindungen. Durch den Verzicht auf schmückende Elemente oder Effekte, durch Eindeutigkeit und Reduktion auf das Wesentliche, werden sie zwingend. Manche Bilder sind geprägt von nüchterner Strenge, andere von vielschichtigem Licht und Bildräumen, die unweigerlich in die Tiefe führen. Starke Hell/Dunkel-Kontraste fallen auf, einige Bilder leben aus dem Schwarz/Weiß. Der Kontrast, so stark er auch sein mag, wird immer wieder vermittelt; durch feine Überschneidungen und Verbindungen zur angrenzenden Fläche wird ihm die Härte genommen. Das vielschichtig gearbeitete Hell/Dunkel verbindet die materielle mit der geistigen Wett. Lichteinfälle und Transparenz durchdringen Dichte und Dunkelheit, auf Ausdehnung erfolgt Konzentration. Eine wohltuende Klarheit und Ernsthaftigkeit begegnet uns in diesen Arbeiten- sie sind von verinnerlichter, tiefgründiger Schönheit

      Jan arbeitet ganz aus der Fläche, er bleibt in der Fläche, sie hat bei ihm den Stellenwert, der ihr zusteht, denn sie ist zweidimensional. Plastizität entsteht durch Fläche auf Fläche. Aufgebrachte Materialteile schaffen Höhenunterschiede, bringen zusätzliche Spannung. Es entstehen Licht-und Schattenwirkungen, Zwischenräume, Stufen und Spalten.

      Jan verzichtet auf unvennittelt starke Farbkontraste und Buntheit. Die zwingende Farbaussage entsteht über den Farbklang, kraftvoll gemalt und feinst differenziert. Auf spannende Weise werden Komplementär- oder Kalt/Wann-Kontraste eingesetzt, die den Farbausdruck steigern. Vielschichtig gemaltes Rot zusammen mit der Dunkelkraft des Blau/Schwarz schaffen Tiefe und laden zum Verweilen ein. Imaginäre Formen tauchen auf, Transparenz und Dichte wechseln ab und der feurige Geist des Rot belebt den Bildraum. Helligkeit und Licht im Einvernehmen mit dem Dunkel verbinden das Alles und das Nichts.

                Jan’s Bilder strahlen das Streben nach Vollkommenheit, die Suche nach Einheit und Wahrhaftigkeit aus. Betrachtet man die Vollkommenheit unserer Schöpfung, so ist es ganz natürlich, dass jeder Mensch diese Sehnsucht in sich trägt. Jan lebt sie auf seine ganz persönliche Weise aus, konzentriert und feinfühlig. Ich erlebe seine Bilder als spirituelle Arbeiten, inspirierend, von großer Reinheit und wesenhafter Schlichtheit. Es sind Bilder von besonderer Kraft. Man sollte sie auf sich wirken lassen ohne den Wunsch nach Beurteilung. Es reicht vollkommen, den Geist und das Herz dafür zu öffnen.

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