WARVARA (2014)
Ein kleines bulgarisches Dorf, das sich an das malerische Strandja-Gebirge schmiegt, ein oder zwei Kilometer von der Küste des Schwarzen Meeres entfernt, meidet die Touristenmassen und hat sich über die Jahre einen fast unveränderten alternativen Charme bewahrt. Eine Zeit lang stand auf der Namenstafel am Ortseingang: Varvara Ceлo не за всеки, was so viel bedeutet wie „Dorf nicht für jeden“ oder „nicht für jeden“. Und genau dieses Phänomen beobachte ich seit Jahren. Es ist ein immer wiederkehrendes Phänomen, dass neue Touristen, die zufällig dort ankommen, schon nach ein paar Tagen wieder abreisen, weil sie in Varvara nichts finden, was sie an einen Touristenort erinnert. Andere verlieben sich gerade deshalb so sehr in den Ort, dass er zu ihrem jährlichen Sommerziel wird und sie keine Alternative sehen. So pilgern neugierige, unkonventionelle und kreativ denkende Menschen seit Jahren im Sommer nach Varvara.
In den 1960er bis 1990er Jahren galt das Dorf in Bulgarien als Hippie-Sommerfrische, in der alljährlich Open-Air-Ausflüge von Studenten der Kunstakademie Sofia stattfanden. Sie bauten Installationen an den Stränden von Varvara und betrieben ihre Bar in Varvara, in der fast jede Nacht Discos stattfanden. Es gab auch zwei Treffpunkte in Varvara selbst: „Kyrczma“ und „Drinkbar“, wo abends oft eine Art Jam-Session stattfand, an der einheimische und ausländische Musiker teilnahmen, wobei die Musik zwischen verschiedenen Stilen wechselte: Zigeuner, Bulgaren, Türken oder Griechen.
Interessant ist auch, dass in den 1960er bis 1990er Jahren bulgarische Oppositionelle in die sogenannte „Schweinefarm“ (Fleischverarbeitungsbetriebe) in Varvara geschickt wurden. Allerdings hatten sie dort einige Freiheiten und konnten abends nach der Arbeit ins Dorf kommen. In der Taverne konnte man dann Intellektuelle und Künstler treffen, die einen Kompromiss mit den Behörden in Sofia geschlossen hatten.
Varvara ist ein Ort, an dem verschiedene Kulturen – bulgarische, zigeunerische, türkische und griechische – aufeinandertreffen und ihre Spuren in Musik, Bräuchen und Küche hinterlassen.
Baba Dafina, bei der wir damals (76-89) wohnten, war die einzige Katholikin im Dorf unter den Anhängern anderer Religionen. Trotzdem habe ich damals keine Anfeindungen bemerkt. Einmal führte sie uns zu einem katholischen Heiligtum, das im Wald in den Bergen versteckt war. Er befand sich in einer Schlucht an einem kleinen Bach, in dem ein seltsames Schilfrohr, ähnlich wie dünner Bambus, wuchs. Für mich war das eine erstaunliche Entdeckung und die Inspiration für meine Bilder für die nächsten zwölf Jahre oder so. Damals war es ein geheimer Schrein, der heute Paraklis heißt und sich zu einem Ort des Ablasses und anderer orthodoxer Feiertage entwickelt hat; mit Spuren von alten katholischen Bildern und Kreuzen – eine Art „Multikulturalismus“, aber dennoch ein heiliger Ort für die orthodoxe Religion.
Die Schilfrohre, die ich dort fand, solche Quasi-Bambusstangen, bildeten einen unglaublich interessanten Kontrapunkt zu den großen Felsbrocken und Felsen an den Stränden bei Varvara. Zuerst habe ich dort vor Ort angefangen, solche unbeständigen Installationen zu bauen. Daraus sind dann meine Gemälde und Zeichnungen entstanden (siehe spätere Seiten). Ich habe weitere „Stock-Installationen“ an dem felsigen Strand gemacht (siehe Fotos 1 und 2). Die Konstruktion aus Felsen ist so prächtig, dass sie sich mit den Werken der bedeutendsten Künstler wie Gaudi usw. messen kann, und sie ist ein solches Werk der Natur, dass man sagen möchte, dass es der Herrgott ist, der der Kreativität und Fantasie aller Künstler Hohn spricht (ein kleines Beispiel findest du auf Foto 3). Diese Felsen, die sich mit der Zeit und dem Licht verändern. sind für mich immer eine ständige Inspiration und eine Lektion in Demut vor dem Genie der Natur.
Viele Male habe ich in verschiedenen Jahren meine Stockinstallationen auf diesen Felsen gemacht (siehe Fotos 4 – 9). Zum ersten Mal habe ich sie 1988 bei einer großen Ausstellung im Institut für Moderne Kunst in Nürnberg gezeigt. Die Ausstellung hieß einfach „Neue Bilder“, obwohl sie eigentlich „I love Warwara“ hätte heißen müssen, denn alle dort gezeigten Werke waren von Warwara inspiriert. (ein paar Beispiele Foto 10 – 16). Die meisten dieser Werke sind bereits verkauft und werden nicht mehr in der Ausstellung zu sehen sein. Ich stelle sie aber in diesem Katalog vor, weil sie eine Dokumentation der Gemälde und Zeichnungen sind, die auf diesen Installationen von mir in Warwara basieren.
Auch heute noch fahren meine Frau und ich fast jedes Jahr im Sommer nach Warwara und treffen dort wieder wunderbare, interessante Menschen. Ich arbeite immer noch oft dort und meine neuen Gemälde und Fotografien, die mit diesem magischen Ort verbunden sind, entstehen ständig.
Jan Niksiński – 2014