SPALTEN, RISSE, SCHLEIER (2003)

Bei den vielen Versuchen der Interpretation meines Schaffens fand ich verschiedene Methoden dafür. „ Rhythmus und Relativität“ als Bezeichnung für die semantisch-visuelle Struktur der Kunst definierte ich schon in früheren Texten. In anderen (z.B. im Text „ Bilder und… Bilder“) stieß ich auf viele Missverständnisse, die aus der fehlerhaften Interpretation des Begriffes „ Bild“ resultieren und es wurde mir bewusst, dass das Wesen meiner Arbeit auch auf dem Aufeinanderlegen vieler Bilder  mit der Relativierung ihrer augenblicklicher Bedeutung beruht.

Wenn ich aber beantworten müsste, was für die rein visuelle Seite meiner Arbeiten typisch ist, was die Art meines Stils formt, dann würde ich nur drei Worte gebrauchen – Spalten, Risse und Schleier. Unabhängig vom Thema und von der Zeit der Entstehung meiner Bilder  kann man immer in ihnen einen Spalt finden, wodurch ein Stück von einem anderem Bild hervorscheint, oder einen Riss in der Form, in der Struktur, der wie eine Wunde das Gleichgewicht zunichte macht und Unruhe hineinlässt. Fast immer erscheint auf meinen Bildern auch eine Art von halbdurchsichtigem Schleier, der das genaue und klare Sehen  des Bildes unmöglich macht.

Alle diese Elemente kamen ganz spontan in meinen Arbeiten im Verlauf der Jahre zum Vorschein ohne vorherigen Plan oder Programm. Aber erst vor kurzem wurde mir bewusst, dass sie die typischen visuellen Determinanten meines Stils sind.

Woher kommt bei mir die Faszination für die visuelle Seite der materiellen Destruktion?

Kurz gesagt, für jede gute Kunst ist meiner Meinung nach typisch, dass sie versucht, jegliches schablonenhafte Sehen und Verstehen aufs Neue zu hinterfragen. Dies tut sie mit dem Zerschlagen des jeweiligen Bildes in grundlegende Stücke, und sucht dann weiter nach absolut neuen, unerwarteten Formen.

Es kann sein, dass alles, was ich hier schreibe, eine Binsenweisheit darstellt vor dem Hintergrund der neusten philosophischen Theorien und der Alltagspraxis. Ist es aber nicht so, dass die mediale Zivilisation der gegenwärtigen Zeit das Ausglätten aller ihrer Produkte anstrebt, dass sie alle Spalten und Risse wegräumt? Alles muss glatt und glänzend sein, ohne Makel. Auch das Porträt der Menschen soll medienmässig korrekt und schön bleiben – unter der Maske von Puder und Schminke verschwinden alle Makel und Falten. Die Bilder müssen klar und deutlich sein nach der einfachen Definition der sog. „Neuen Wirklichkeit“. So festigt sich der globale Trend zum Ausglätten, Vereinfachen und Idealisieren (Unifizieren?). Grundsätzlich ist aber alles in der Natur porös, geborsten, nicht ganz zugänglich und verständlich, es ist ein Ausdruck des zeitlichen und überzeitlichen Prozesses der Existenz (dies betrifft auch das Wesen der Menschlichkeit selbst). Es scheint als ob nur Künstler durch ihr Schaffen dieses Paradoxon der Eigentümlichkeit unserer heutigen Zivilisation gegenüber der Natur und dem Menschsein sichtbar machen wollen. Jeder Künstler macht es mit seiner eigener Methode, durch eigene Formen und eigenen Stil. Gerhard Richter zum Beispiel malt seine Bilder wie undeutliche Photos. Er sagt: „Was macht es denn aus, dass man einen toten Menschen nicht deutlich sieht?. Man wird ja sowieso nicht viel über ihn erfahren (wie auch nicht über das Wesen des Todes); mehr darüber kann man auf einem undeutlichen Bild oder Photo sehen. Nur so kommt man dem Geheimnis des Lebens und des Todes näher“.

   Spalten, Risse und Schleier sind in meinen Bildern eine Form der Dekonstruktion des funktionell definierten Medienideals, welches die Wirklichkeit vereinfacht und verfälscht. Sie als Versuch der Intergration mit der Wahrheit der Natur und des Menschen zu sehen.

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