Lichfragmente (1985)

Jan Niksinski in der Galerie Zydikat/ West-Berlin – Hatto Fischer 1985

               Programme zur polnischen Lyrik und Literatur ergänzen die Ausstellung Jan Niksinskis in der Galerie Zyndikat. Am Abend des 1.3. 1985. wird es eine Lesung des Autors des Buches‚ „Pole, wer bist Du?“, Witold Wirpsza, geben. Die Zyndikat Galerie bemüht sich Immer mehr um osteuropäische Künstler, und das Im Zusammenhang mit einer Kunst, die gegen politische Zensur anzukämpfen hat. Im April wird es deshalb eine Photoausstellung der Polin Anna B. Bohdziewicz geben, sie hat in den letzten vier Jahren Veränderungen Im Alltag Polens festgehalten. Die Zyndikat Galerie setzt also neue Akzente, ohne jedoch den Begriff „Dialog’ mit dem Osten“ überspannen zu wollen. Wichtig ist an diesem ehemaligen Ort der Besetzerszene, dass die Inkenntnisnahme osteuropäischer Realität zur Bemühung linker Szene um eigene Information gehört, und darum noch andere kulturelle und politische Perspektiven für die Zukunft nach sich ziehen wird.

                Zuerst dachte Ich, seine Graphiken und Zeichnungen seien tatsächlich Lichtfragmente Ober Dächern. Licht, einmal hinter dem Schornstein hervorgebrochen, ergibt weniger Silhouetten, das Dasein Im Schatten, als vielmehr Lichtfragmente des Aufbruchs, werdendes Licht am Morgen und darum eher Ausdruck für Hoffnung auf Ruhe, und ja auch auf Köstlichkeiten. Unvoreingenommene Hoffnungen der Stimmung nach und dennoch fragmentarische Hinweise aufs bittere Leben. Seit 1981 und damaligen Einbruch eines kalten Winters samt Kriegsrecht. Ausreiseverbot und sonstigen Einschränkungen macht sich das in den Lebensbedingungen und Arbeiten polnischer Künstler bemerkbar. Ihr Material wird schlechter und die Zuflucht zu optimistischen Themen wird zusehends durch die Realität verbaut. Umso erstaunlicher ist die derzeitige Ausstellung der Graphiken und Zeichnungen von Jan Niksinski in der Zyndikat Galerie. Sie sprechen eher das aus, was Lichtfragmente am Morgen als am Abend bedeuten: freundliche Botschaften, durch kräftige Stimmen wie Striche getragen, um nicht durch eine negativ verbleibende, weil trostlos gewordene Realität eingefangen zu werden. Diese Stärke zeigt sich beim zweiten Blick auf die Bilder. Das Thema „Licht Ober Dächern“ weicht und stattdessen werde Ich aufmerksam für seine Mischtechniken, die Räumlichkeiten in Verbindung zu Photomontagen oder zu geometrischen Formen, sowohl farblich als auch graphisch ermöglichen. Bei manchen Bildern denke Ich an zerknittertes Papier, abermals aufgefaltet und geglättet, um die Spannwelle seiner Optik für Linien überhaupt noch zu erfassen. Es bedarf des weiteren Betrachtens, um das „Labyrinth zwischen uns“ zu verstehen. In fast all seinen Zeichnungen wird das Thema „Linien“ artikuliert, und zwar vor allem anhand dessen, was Zeichen setzt, Insbesondere da, wo eine Linie die andere überdeckt Auf Englisch hieße das „overlapping“, während Flächen, einmal Ineinander gereiht, plötzlich aus einem „Fisch geträumt“ hervorgehen. Die Themen, und besonders der abstrakte Grad seiner Graphiken verdeutlichen symbolhaft gewordene „Kunstsprachen“, die Jan Niksinski (zuerst in Gdansk und später Warszawa an den respektiven Akademien der Künste und außerdem in seinem Stadtmilieu Praga, ein mit Kreuzberg vergleichbarer Bezirk in Warszawa, entwickelt hat. Und all seine Arbeiten verdeutlichen das hohe Kunstniveau, das nach wie vor in Polen trotz und womöglich vor allem deshalb seit 1981 fortbesteht.

               Was von Jan Niksinski gezeigt wird, sind Bilder-Serien, bestehend aus einem abstrakten Symbolismus und aus zeichnerischen Konfigurationen. In fast allen Bildern bringt er zwei verschiedene Techniken, die der Graphik und die der Zeichnung, zusammen, um mittels dieser Mischtechnik Themen wie Labyrinthe, Selbstmord, Häuserfront, Fisch geträumt, zu bearbeiten. In manchen zeigt er sehr direkt seine Beschäftigung mit Stadtbildern bzw. Häuserfronten seiner unmittelbaren Umgebung. Die frontale Betrachtung der Häuserfront verschärft er durch geometrische Formen, ob nun das Dreieck oder das Quadrat. Eine schlichte Andeutung des malerischen Könnens ergibt, dann die Aufmachung des Ganzen, so z.B. wenn ein grüner Filmton über die Häuserfront verläuft und so suggestiv beeindruckt zugleich eine Indirekte Wahrnehmung der menschlichen Behaüsung von der Straße aus wiedergibt.

               Seine Mischtechniken können in drei Gruppen aufgeteilt werden. In der ersten verarbeitet er Stoffreste Im Bild selber und verändert dadurch das räumliche Konzept. Im zweiten gebraucht er diese Indirekte, bereits soeben geschilderte Verfremdung der Wahrnehmung, um teilweise spiegelgetreu die Wirklichkeit mittels einer Photomontage und teilweise verfremdet durch eine bewusste Betonung der geometrischen Wirklichkeit wiederzugeben. Die dritte Gruppe wird schließlich von denjenigen Bildern geprägt, die einen symbolhaften Dialog zwischen Form und Linie anstreben. Alle drei Gruppen bilden ein „Experiment mundi’“. So versucht Jan Niksinski Linien nachzugehen, um zu erfahren, was passiert, wenn sie große Flächen, tiefe Schächte usw. überqueren. Und stets verdeutlicht Im Zuge seiner Annahme dieses Experiments den Übergang von Realismus ins Abstrakte. Wo zuvor zurückgenommene Schichtung alltäglicher Strukturen (weil unaufmerksam geworden) die Wahrnehmung bestimmen (und deshalb diffuse Bilder ergeben), löst er dieses Problem in seiner Graphik auf, indem er dem sinnlichen Ausdruck räumliche Tiefe bzw. Ausdehnung zu geben versucht. Besonders spannungsvoll ist ein Bild, welches er in der Mitte durchgetrennt hat: Auf der einen Seite schaut man eine Straße runter und blickt direkt auf die Häuserfront der frühen zwanziger Jahre. Das Relief zwischen Grundwohnungen und erstem Stock verlängert Jan Niksinski nach der Mitte plötzlich, indem er die Linie des Reliefs in einen abstrakten Raum hineinführt, und ab dann im leeren Raum die Bewegung der Linie expansiv wirkt. Das Zurückverfolgen der Linie muss stets die schweigende Trennungsmauer zwischen konkretem und abstraktem Raum durchbrechen.

               Und so dominieren die Linien in all seinen Bildern – mal schwächer, mal stärker, mal wie fragmentiertes Eis oder wie feine Baumbusstäbe, aneinandergelehnt. Mal wirken die Bilder flächenmäßig und abstrakt stark, und dann wieder dunkel und verloren.

                So also reflektiert der Künstler das Winkelspiel von Licht und Politik im Sinne des Erprobens eigener Existenzmöglichkeiten. Emotionen werden auf solch eine Weise entschlüsselbar. Zerknittertes Papier, einmal wieder auseinandergelegt, kann an vorbeigezogenen Arger erinnern. All das durchfurcht den geistigen Horizont. Er färbt’ auf die Mentalität ab. Und wenn die Gefühle einmal angesprochen sind, ziehen diese Bilder an, nach unten, nach oben, entlang den Linien, und bis ins Schweben der Träume, solange, bis auf einmal das Lachen des erträumten Fisches ertönt, last philosophisch, im Zeichen des aufgehenden Lichtes.

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