Bilder und…Bilder (15.Sep.2003)

Der nachfolgende Text berührt nur einige Themen, die allerdings weiterer Erklärung und Ausweitung bedürfen.

Dieses Thema formulierte sich selbst während meiner Arbeit an einem Bild, das seine eigene und ziemlich eigenartige Geschichte hat. Während Ordnungsarbeiten in einer privaten Galerie (gegenwärtig Galerie Pokusa) in Wiesbaden, wo ich 2001 eine Ausstellung hatte, habe ich ein Bild vor dem Müllkorb gerettet. Das war eine zeitgenössische, leider ziemlich missglückte Kopie eines holländischen Stilllebens, gemalt auf Leinen und mit sehr solidem Blendrahmen. Ich hatte mir vorgenommen, darauf mein eigenes Bild zu malen. Betitelt habe ich es als „Bild und… Bild”, weil es am Anfang ein holländisches Stillleben aus dem 17. Jahrhundert war, dann eine Kopie von jemandem anderen, und jetzt mein Bild, das eigentlich mehr ein Dialog mit der holländischen Urfassung, als mit seiner Kopie ist. Bei der Arbeit an diesem Bild wurde mir bewusst, dass diese Methode nicht nur für diese Arbeit charakteristisch ist, sondern auch für fast alle meine Bilder. Jedes von ihnen wurde auf einem anderen gemalt oder stellt eine Synthese vieler Bilder dar.

Bild und Bild: Bild – Urfassung (Kopie) und Bild – Interpretation – Analyse – Variation

                Aus der Physiologie des Sehens resultiert, dass die aus den Augen in die Hirnrinde zufließenden Reize eine Chiffre bilden. Unser Gehirn Muss diesen erst in ein für uns erkenntliches System der Begriffe übertragen – Muss uns erzählen, was wir sehen. Daher sehen wir eigentlich mehr das, was wir kennen, als das, was „tatsächlich zu sehen ist”. Das Erkennen und Behalten von Milliarden von Informationen ist praktisch unmöglich. Aufgrund von Erfahrungen und Emotionen bildet jeder einen Sehkode für sich selbst. Dann aber entsteht kein einheitliches Bild, sondern eher eine Collage verschiedener Dinge, die sich durch Bedeutung, Form, Farbe, Duft oder sogar Laute, mit dem assoziieren, was wir sehen. Malerei ist vielleicht die letzte „Insel”, wo die gesehenen Bilder in der Sehenssphäre verbleiben. In meiner Arbeit will ich keinesfalls zeigen, was wirklich ist. Und versuche es auch nicht. Ich bin bemüht, Collagen zu malen – eine subjektive Mischung der Essenz von Emotionen, Assoziationen und Wissen. In diesem Prozess möchte ich alles vergessen, was ich weiß. Aber gleichzeitig will ich verstehen, was ich sehe. Vielleicht male ich in diesem Moment die

wirklichen Bilder – die Realen.

Bild und Bild: Das wirkliche Bild und das subjektiv gesehene Bild

Wir leben in einer Bilderkultur. Alle möglichen Systeme der Bildung, Werbung und Propaganda benutzen fast ausschließlich die Wirkung von Bildern. Der Kreis schließt sich – am Anfang war das Bild und dann der Text. Jetzt minimalisiert sich die Rolle des Textes – unser Bewusstsein und Vorstellungsvermögen wird hauptsächlich durch das Bild beherrscht. Beim Lesen und Sehen bedeutet das aber paradoxerweise einen rückgängigen Prozess, unsere Fähigkeit des Lesens und Sehens wird allmählich abgebaut. Unsere Sehfähigkeit wird schon vom Kindergarten an durch den verbalen Inhalt, den Kontext und das Schema formatiert. Die Hilflosigkeit – auch der gebildeten Menschen – gegenüber von Bildern, die in keinem Zusammenhang mit etwas Bekanntem stehen, die keine Beschreibung besitzen, die keine verständliche Übermittlung im Bereich der Bildung, Politik oder Werbung darstellen, ist lähmend.

Nur der Kontakt mit der Natur rettet uns ein wenig, weil wir beim Betrachten eines Baumes oder eines Berges nicht nach dem Kontext und auch nicht nach der Bedeutung fragen.

Bild und Bild: Bild mit erklärendem Text und Bild ohne Text (ohne Bedeutung?)

Das gesehene Bild und das behaltene Bild sind ganz verschieden. Mit der Zeit werden die Bilder aus der Sammlung unseres Gedächtnisses reduziert, sie verketten sich oder entschweben einfach. Einige Bilder verwandeln sich in verbale Inhalte oder bilden eine Assoziationskette von Bild, Wort und Gefühl usw. Oft überlege ich, was aus den gesehenen Bildern z.B. von Personen, Landschaften oder Situationen in meiner Erinnerung verbleibt. Alle meine Bilder sind eine Form der Erinnerung oder des Wiedersehens. Ich mache viele Photos, die eine Basis für die weitere Arbeit bilden. Diese objektive Erinnerung, wie ein Photo es ist, ist für mich ein faszinierender Kontrapunkt zu dem, was ich in meinem Gedächtnis behalten habe. In der Malerei versuche ich sogar die Antwort auf die Frage zu geben, warum ich dieses und nicht jenes behalten habe. Und ich staune immer wieder, daß in meiner Arbeit ständig drei oder vier Themen wiederkehren. Ich weiß auch gar nicht, wie unser Sehen sich verändert; ob die gesehenen Bilder unser Bewußtsein verändern, oder ob vielleicht unser Bewußtsein dasselbe jahrelang gesehene Bild verändert. Vielleicht ist der Prozess des Sehens ein Strom und lässt sich in seiner ständigen Wandelbarkeit nicht definieren. Jeder Definierungsversuch dessen, was wir sehen und behalten, stützt sich auf der Aussonderung der einzelnen Aspekte der Wirklichkeit im ständigen Wandel.

Solche im Gedächtnis behaltene Bilder sind tot. Nur die Kunst kann sie wiederbeleben, in den ständig wandelnden Strom der Wirklichkeit einbeziehen.

Seit vielen Jahren mache ich Photos mit der Aussicht aus meinem Fenster. Das ist eines meiner neuen Projekte, wo ich versuche die objektiven Veränderungen in der Natur zu dokumentieren, um gleichzeitig auf dieser Basis Bilder, die eine Art Interpretation der in meinem Bewußtsein stattfindenden Veränderungen sind, zu malen.

Bild und Bild: Das gesehene Bild und das behaltene Bild

Schöne Bilder zu malen ist was ganz anderes, als die gute Bilder zu malen – Kunst schaffen. Der durchschnittliche Absolvent irgendeiner Kunstakademie weiß, wie man schöne, anziehende Bilder malen kann – manche können sogar wunderschöne und einzigartige Bilder erschaffen; alles liegt „nur” im Bereich von Technik, Empfindlichkeit und Talent. Das Schaffen von guten, hervorragenden Bulder ist eine Art Phänomen, selbst für Künstler schwer verständlich.

Heutzutage entstehen auf der Welt Tausende oder Millionen schöner Bilder in noch schöneren Rahmen. Die Künstler schaffen professionelle, dekorative Gegenstände, die den Eindruck erwecken, Kunst zu sein. Auf dem entgegengesetzten Pol befinden sich die Künstler, die in ihrer Kreativität die Bildrahmen überschreiten, sie malen gar nicht. Ihr Schaffen ist oft strittig, vermehrt provokativ, naiv intellektualisiert, nähert sich aber mehr dem Kunstbereich, als die millionenfache Produktion von kommerziellen, schönen Bildern. Vielleicht wissen einige von den „Avantgardisten”, wie schwer es ist, ein gutes Bild zu malen. Unsere moderne Zivilisation und Technik hat zum erstenmal den Menschen, die gar nicht malen (komponieren, dichten, bildhauern) können, die Chance gegeben ein Künstler zu sein. In den modernen Galerien ist von Malerei nichts zu sehen, aber dennoch malen Tausende (wenn nicht Millionen) von Menschen und noch einmal soviele betreiben den Kunsthandel. Kann man heute noch an die Zukunft der guten, kreativen Malerei glauben, wenn man z.B. die Bilder von Tizian, Rembrandt, Tintoretto oder Vermeer betrachtet ? Der Möglichkeitsbereich für den ehrgeizigen Maler schrumpft radikal. Immer weniger Menschen versuchen ehrgeizige, originelle Kunst durch Malerei zu betreiben und immer schwieriger ist es, sie zu finden. Der Markt diktiert seine Bedingungen und verursacht, daß sogar der Kunstmarkt sich in einen Geldmarkt verwandelt. Es lohnt sich, schöne und einfache Bilder zu produzieren, die mehr ein Gegenstand des Handwerks als ein Kunstwerk sind. Gute Bilder – Kunstwerke – können schön (durchwegs auch in kommerziellem Sinn) sein, aber sie müssen es nicht; das wird nie ihre einzige Funktion. Sie sollten mehr neue, unbekannte Schönheitsmuster schaffen, nicht nur im visuellen aber auch im intellektuell-geistigen Bereich.

Bild und Bild: Schönes Bild und gutes Bild

Die Kunst appelliert an den einzelnen Menschen, in der modernen Welt jedoch herrschen die Massen. Die Künstler versuchen durch Kompromisse sich in dieser Situation wiederzufinden. Sie wandeln ihre Arbeit in Medien- und Sozialtätigkeit um. Beim Erschaffen von politisch korrekten Werken wollen sie die abstrakten Massen ansprechen und verlieren den Kontakt mit dem Menschen. Die Menschen, die auf der Flucht vor dem Getümmel der flimmernden Bilder und dem Medienlärm intuitiv den Kontakt mit der reinen Natur suchen, vergessen immer mehr, daß sie dasselbe in der Kunst finden können. Aber wo kann man noch solche Kunst finden, die den Kontakt mit dem einzelnen Menschen nicht vergessen hat? Die Menschen, die eine solche Kunst suchen, bekommen in den Galerien multimediale Präsentationen zu sehen, die sich nicht von der Wirklichkeit der großen Handelszentren oder der Fernsehwerbung unterscheiden. Das ist ein lähmender Unsinn, der das grundlegende Wesen der Kunst vernichtet. Die im Komputer geschaffenen Werke sind vom Menschen genauso entfernt, wie unsere Zivilisation. Die vom Menschen entfernte Kunst hört eigentlich auf, Kunst zu sein.

Bild und Bild: Bild, das da ist und Bild, das nicht da ist

.